In diesen Zeiten fragen wir uns mehr denn je, in welches Land wir eigentlich noch ruhigen Gewissens reisen können. Kann ich in die USA reisen, wo ein verurteilter Straftäter zum Präsidenten gewählt wurde? Sollte ich in Ungarn, Italien oder in den Niederlanden Urlaub machen, wo Rechtspopulist:innen und Faschist:innen das Sagen haben? Oder in das schöne Argentinien, wo ein Javier Milei den Sozialstaat mit der Kettensäge zerstückeln will? Diese Fragen sorgen in meinem Umfeld immer wieder für hitzige Diskussionen. Und alle wissen: Eine zufriedenstellende Antwort gibt es darauf nicht.

Die Welt scheint politisch gespaltener denn je, und das merke ich auch auf meinen Reisen. Wo ich früher einfach eine Reise buchte und mich auf Abenteuer oder Entspannung freute, stelle ich mir heute zunehmend moralische Fragen. Die Debatten um Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung haben sich längst auch auf die Wahl unserer Reiseziele ausgeweitet. Denn Reisen ist nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Art stille Botschaft: Wo wir unser Geld ausgeben, wen wir unterstützen und welchen Geschichten wir Gehör schenken, hat Auswirkungen. Gerade in Zeiten, in denen autoritäre Regierungen und Menschenrechtsverletzungen zunehmen, ist es wichtiger denn je, darüber nachzudenken, wie unser Handeln die Welt prägt – bewusst oder unbewusst.

Die Qual der Moral

Immer wieder werde ich mit folgender Aussage konfrontiert: "Du reist nach Budapest? Wie kannst du dieses rechtsradikale Regime unterstützen?" Eine Aussage, die mich nachdenklich macht. Einerseits frage ich mich, seit wann wir uns ein Reiseziel nach dem amtierenden Staatschef auswählen? Schließlich ist auch unter einem autoritär regierten Premierminister die Kultur nach wie vor erlebenswert, die Sehenswürdigkeiten sehenswert und die Menschen liebenswert. Andererseits verstehe ich das Argument, dass ich durch meine Reise ein Land unterstütze, das eine menschenverachtende Politik betreibt.

Viele von uns spüren ein Unbehagen, wenn wir daran denken, ein Land zu bereisen, dessen Regierung durch Unterdrückung, Korruption oder Menschenrechtsverletzungen auffällt. Schließlich fließt unser Geld oft direkt oder indirekt in die Taschen eben jener Regime, die wir eigentlich kritisieren. Ob Eintrittsgelder für staatlich geführte Sehenswürdigkeiten oder Tourismusabgaben – unser Aufenthalt könnte dazu beitragen, autoritäre Strukturen zu festigen.

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Bei mir hinterlässt es allerdings ein ungutes Gefühl, die Lebensrealität und die Kämpfe der Menschen vor Ort zu ignorieren. Selbst in den am autoritärsten regierten Ländern gibt es so etwas wie Meinungspluralismus, eine außerparlamentarische Opposition, Andersdenkende. So ist es mir in Budapest häufig ergangen, einer Stadt, die seit 2019 sozial-liberal regiert wird und sich für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit einsetzt.

Und damit sind wir schon auf der anderen Seite derselben Medaille. Wer reist, baut auch Brücken. Es ermöglicht einen interkulturellen Austausch, der Vorurteile abbaut und Dialoge eröffnet. Vor allem, wenn wir lokal und bewusst konsumieren, können wir direkt Menschen unterstützen, die jenseits staatlicher Strukturen arbeiten – sei es den Betreiber eines kleinen Straßenfests, der Volunteer auf einem weltoffenen Musikfestival, den Marktverkäufer oder die Barista im kleinen Hipster-Café.

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Ein Überblick: 10 Urlaubsländer mit dubiosen Staatenlenkern

#1 Ungarn

Ungarn ist ein faszinierendes Reiseziel mit einer reichen Geschichte, beeindruckender Architektur und kultureller Vielfalt, insbesondere in Budapest. Doch unter der Regierung von Viktor Orbán hat das Land einen deutlichen Rückschritt in demokratischen Grundwerten erlebt. Gleichzeitig bleibt Budapest ein kulturelles Zentrum, das für seine liberale Stadtregierung und seine weltoffene Atmosphäre bekannt ist.

#2 Argentinien

Argentinien steht aktuell unter dem Einfluss von Javier Milei, einem populistischen und wirtschaftsliberalen Präsidenten, der die politische Landschaft polarisiert. Milei hat angekündigt, den Sozialstaat radikal zu reduzieren, was viele Menschen in Sorge über soziale Ungleichheiten versetzt. Dennoch bleibt Argentinien ein faszinierendes Reiseziel, das für seine kulturelle Vielfalt, seine leidenschaftliche Tango-Tradition und die beeindruckenden Naturlandschaften bekannt ist.

#3 Italien

Italien, das Land der Renaissance und der Dolce Vita, ist politisch gespalten. Unter der aktuellen Regierung von Giorgia Meloni, der ersten faschistischen Premierministerin seit dem Zweiten Weltkrieg, hat das Land eine nationalistische Ausrichtung genommen. Beliebte Reiseziele wie Rom oder Florenz haben dabei oft eine andere politische und gesellschaftliche Dynamik als die nationale Ebene.

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#4 Niederlande

Die Niederlande, oft als Vorbild für soziale Toleranz und liberalen Lebensstil betrachtet, befinden sich in einem politischen Wandel. Die rechtspopulistische Partei unter Geert Wilders hat bei den letzten Wahlen signifikant an Einfluss gewonnen, was viele als Signal für einen gesellschaftlichen Rechtsruck deuten. Dennoch bleiben Städte wie Amsterdam oder Rotterdam ein Synonym für Weltoffenheit und kulturelle Vielfalt.

#5 Vereinigte Arabische Emirate / Dubai

Trotz ihrer modernen Metropolen wie Dubai und Abu Dhabi werden die Vereinigten Arabischen Emirate autoritär regiert. Es gibt erhebliche Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, und die Rechte von Frauen sowie der LGBTQ+ Community sind stark eingeschränkt. Dennoch positionieren sich Dubai und Co. als touristenfreundlich und liberal – zumindest augenscheinlich.

#6 Ägypten

Beliebte Sehenswürdigkeiten wie die Pyramiden von Gizeh oder der Badeort Hurghada ziehen jährlich Millionen Tourist:innen aus aller Welt an. Dennoch herrscht in Ägypten ein autoritäres Regime, das für seine harten Maßnahmen gegen Oppositionelle und Einschränkungen der Pressefreiheit bekannt ist. Hinzu kommt die ständige Terrorgefahr durch Aufständische und Islamisten.

#7 Türkei

Mit Städten wie Istanbul und Antalya ist die Türkei seit eh und je ein populäres Reiseziel. Aktuell gehört die Türkei sogar zu den Trendzielen, auch weil die Kosten vor Ort, verglichen mit anderen Zielen am Mittelmeer, besonders niedrig sind. Allerdings hat sich die politische Lage in den vergangenen Jahren verschärft, mit Einschränkungen der Pressefreiheit und Verhaftungen von Regierungskritikern.

#8 Vietnam

Die Regierung unterdrückt systematisch abweichende Meinungen. Kritische Äußerungen, insbesondere in sozialen Medien, werden nicht toleriert. Ein aktuelles Beispiel ist der Prozess gegen den Staranwalt Tran Dinh Trien, der wegen Facebook-Posts, die den ehemaligen obersten Richter kritisierten, angeklagt wurde. Gleichzeitig erfreuen sich Reiseziele wie Hanoi, Da Nang und Phu Quoc ungebrochener Beliebtheit.

#9 Kambodscha

Die politische Opposition wird stark eingeschränkt, und die Meinungsfreiheit ist bedroht. Ein Vorfall im Oktober 2024 zeigt die enge Zusammenarbeit zwischen südostasiatischen Regierungen bei der Unterdrückung von Dissens: Eine kambodschanische Hausangestellte wurde in Malaysia verhaftet und nach Kambodscha deportiert, weil sie in sozialen Medien die kambodschanische Regierung kritisiert hatte. Andererseits sind sichere Reiseziele wie Angkor und Siam Reep extrem beliebt und lassen die Repressalien im Land fast vergessen.

#10 Indonesien

Indonesien, besonders die Insel Bali, ist speziell bei digitalen Nomad:innen extrem beliebt. Die Community dort wächst stetig und der Tourismus im Allgemeinen floriert. Doch auch hier ist nicht alles Gold, das glänzt: Menschenrechtsverteidiger:innen werden schikaniert, bedroht und strafrechtlich verfolgt. Allein im Jahr 2021 wurden Angriffe auf mehr als 357 Menschenrechtler:innen gemeldet. Zudem wurden Gesetze erlassen, die die Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre bedrohen.

Bereisen oder boykottieren? Drei Perspektiven

Wie bei vielen Entscheidungen muss man sich erst einmal mit den unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen, bevor man zu einer für sich vertretbaren und abschließenden Meinung kommt.

Die touristische Perspektive

Reisen in Länder mit problematischer Regierung kann herausfordernd, aber auch bereichernd sein – vor allem, wenn man sich bewusst auf die Gegebenheiten einlässt. Es geht darum, hinter die Schlagzeilen zu blicken und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Menschen in Buenos Aires, Budapest oder Jakarta ihren Alltag gestalten. Gerade in Städten, die oft anders ticken als die nationalen Regierungen, eröffnet sich ein interessantes Spannungsfeld zwischen politischer Realität und kultureller Vielfalt. Der direkte Kontakt mit den Bewohner:innen kann dazu beitragen, diese Gegensätze besser zu verstehen. Gleichzeitig bleibt die Frage: Wie viel von der politischen und gesellschaftlichen Situation lässt sich wirklich erfassen, wenn man nur ein Gast auf Zeit ist? Das erfordert nicht nur Neugier, sondern auch eine Offenheit, die eigene Perspektive immer wieder zu hinterfragen.

Können wir reisen, ohne Tourist:innen zu sein?
Können wir eigentlich reisen, ohne Tourist:innen zu sein? Diese Frage stelle ich mir auch bei meinen Reisen und versuche so gut es geht, kein Tourist, sondern ein Reisender zu sein.

Die politische Perspektive

Eine der größten Herausforderungen ist die Frage, ob man durch den Besuch solcher Länder ein umstrittenes Regime legitimiert. Gerade in Ländern wie Ungarn unter Viktor Orbán oder Vietnam – beliebtes Urlaubsland einerseits, korruptes Einparteiensystem andererseits – gibt es starke Kontroversen um Menschenrechte und demokratische Prinzipien. Der Besuch staatlich betriebener Museen oder Touristensteuern könnte unbewusst die Machtstrukturen stützen. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass viele Städte oder Provinzen, wie beispielsweise Budapest mit seiner grünen und liberalen Stadtregierung, eine ganz andere politische Ausrichtung haben als die nationalen Regierungen. Es ist also möglich, durch bewusstes Konsum- und Freizeitverhalten das „richtige“ Signal zu senden, ohne das Regime direkt zu unterstützen.

Die persönliche Perspektive

Eine nicht unwichtige Perspektive ist aber auch die persönliche. Fühlst du dich wohl in dem Land oder würdest du es aller Voraussicht nach? Hast du Repressalien zu erwarten, wenn du deine Meinung äußerst oder einfach so leben möchtest, wie du es in deinem Heimatland gewohnt bist? Kurz: Fühlst du dich sicher in dem zu bereisenden Land? Wenn du die letzte Frage mit Ja beantworten kannst, dann hast du diesen Aspekt zumindest für dich ganz persönlich gelöst.

Was ich als Reisende:r tun kann

Auch wenn die politische Lage in einem Land kompliziert sein mag, können wir als Reisende bewusst dazu beitragen, positive Impulse zu setzen. Der erste Schritt ist es, ein Reiseziel zu wählen, das liberal oder oppositionell verglichen mit der Landesregierung agiert. Das Netz bietet dazu reichlich Auskunft. Außerdem kannst du lokale Anbieter unterstützen – von kleinen Restaurants über familiengeführte Unterkünfte bis hin zu unabhängigen Tourguides. Damit fließt das Geld direkt zu den Einheimischen, statt in staatlich kontrollierte Strukturen.

Gleichzeitig erfordert es politische Sensibilität: Es geht darum, die Bevölkerung mit Respekt zu behandeln und die oft schwierige Realität anzuerkennen, ohne sie zu romantisieren oder zu ignorieren. Schließlich können wir durch Gespräche und Berichte in unserem Umfeld das Bewusstsein für die Situation vor Ort schärfen. Aufklärung bedeutet, persönliche Eindrücke zu teilen, ohne zu urteilen, und andere dazu zu ermutigen, sich differenziert mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen. So wird Reisen zu einem Akt der bewussten Erfahrung und nicht bloß ein oberflächliches Freizeiterlebnis.

Fazit: Es bleibt ein Dilemma

Es gibt keine einfachen Antworten auf die Frage, ob man in Länder mit fragwürdigen Regimen reisen sollte. Es ist und bleibt ein Dilemma zwischen moralischer Verantwortung und persönlicher Freiheit, das wir nur individuell und ganz persönlich auflösen können.

Meine persönliche Haltung: Kein Reiseziel ist wirklich vergleichbar. Ich entscheide daher zunächst immer, ob ich mich angesichts der Situation vor Ort, aber auch aufgrund meines Lebensstils sicher in dem Land bewegen kann. Und klar ist für mich auch: Den Menschen und dem Tourismus vor Ort helfe ich nicht durch meine Abwesenheit. Es wären schlicht die falschen Leute, die man damit bestraft.

Wie stehst du zu Reisen in politisch dubiose Länder? Schreib es in die Kommentare!