Ich liege am Strand an der Riviera Maya. Hinter mir liegen drei Wochen Tacos, Burrito, Cochinita Pibil und Co. Ich rieche einen Bratwurstdurft. Er kommt aus einem nahegelegenen Fast-Food-Restaurant namens „Euro-Grill“. Ein Name, wie man ihn auch am Frankfurter Hauptbahnhof vorfinden könnte. Tatsächlich verbinde ich ein Gefühl von Heimat mit dem Geruch, möchte es mir aber nicht eingestehen. Hallo? Ich bin in Mexiko! Jenes Land mit einer der besten Küchen auf dem Planeten. Oder ist diese Sehnsucht nach kulinarischer Heimat völlig in Ordnung? Ein paar Gedanken dazu.

Dieser Moment am „Euro-Grill“ ist kein Einzelfall. Viele von uns haben auf Reisen schon Ähnliches erlebt: der Duft von frischem Brot, das plötzliche Wiedersehen mit einer vertrauten Süßigkeit oder das Verlangen nach einer Tasse Tee, die genauso schmeckt wie zu Hause. Dieses Gefühl ist zutiefst menschlich. Egal, wie sehr wir uns auf fremde Kulturen und kulinarische Abenteuer einlassen wollen, es gibt Momente, in denen unser Bauch uns zurück in die Komfortzone ziehen möchte. Es ist keine Schwäche, sondern eine natürliche Reaktion auf die Unsicherheiten, die Reisen manchmal mit sich bringen.

Die Wissenschaft hinter der Sehnsucht

Tatsächlich gibt es wissenschaftliche Erklärungen für dieses Phänomen. Psycholog:innen sprechen vom sogenannten „Comfort Food“-Effekt: Vertraute Geschmäcker sind oft mit positiven Emotionen und Erinnerungen verknüpft. Sie vermitteln uns ein Gefühl von Sicherheit und Heimat – besonders, wenn wir uns in einer ungewohnten Umgebung befinden. Zudem arbeitet unser Gehirn effizient: Neues auszuprobieren erfordert Energie, während Vertrautes weniger kognitive Anstrengung bedeutet. Es ist ein Überlebensmechanismus, der bis zu unseren Jäger- und Sammler-Vorfahren zurückreicht, die zwischen dem Erkunden neuer Ressourcen und dem Nutzen sicherer, bekannter Optionen abwägen mussten. Reisen ist also nicht nur ein äußeres, sondern auch ein inneres Abenteuer – und manchmal übernimmt unser Bedürfnis nach Sicherheit die Führung.

Trend: Essen als zentraler Bestandteil des Reisens

Kulinarische Reisen haben in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Laut einer Studie von Future Market Insights wird der Marktwert für kulinarischen Tourismus bis 2024 auf über 1,1 Billionen US-Dollar geschätzt – und das Wachstum hält an. Immer mehr Menschen wählen ihre Reiseziele nicht nur nach Landschaft oder Kultur, sondern gezielt nach den dortigen kulinarischen Erlebnissen. Essen ist längst nicht mehr nur ein Begleitaspekt einer Reise, sondern oft der Hauptgrund, warum wir uns überhaupt auf den Weg machen. Ob ein Kochkurs in Thailand, Weinproben in Italien oder Street-Food-Touren in Mexiko – die Verbindung zwischen Geschmack und Reiseabenteuer wird immer stärker.

Italien: Urlaub nahe Weinreben, in den Bergen und am Meer
Italien: Urlaub als Rundreise durch kleine Berg- und Küstendörfer klingt gut für dich? Dann haben wir hier 5 Tipps für dich.

Zwischen Neugier, Vertrautheit und Ängsten

Trotz des wachsenden Interesses am kulinarischen Reisen bleibt der Umgang mit fremden Küchen individuell. Studien zeigen, dass viele Menschen sich von neuen Geschmäckern angezogen fühlen, aber gleichzeitig auch von Vertrautem nicht loslassen können. Kulturelle Vertrautheit und persönliche Vorlieben spielen eine große Rolle, ebenso wie eine gewisse Neophobie – die Angst, etwas Unbekanntes zu probieren. Das erklärt, warum selbst kulinarische Abenteurer:innen ab und zu nach einer vertrauten Speise suchen, sei es der Espresso wie in Italien oder das belegte Brötchen, das an das heimische Frühstück erinnert. Die Balance zwischen Neugier und Komfort prägt die Art, wie wir uns durch die kulinarische Welt bewegen.

Globale Marken als Zuflucht auf Reisen

Internationale Restaurantketten und Fast-Food-Marken haben längst erkannt, wie wichtig diese Sehnsucht nach Vertrautem ist. Egal, ob McDonald’s in Asien oder Starbucks in Europa – diese Marken bieten eine Art kulinarischer Zufluchtsort für Reisende. Viele von ihnen passen ihre Menüs sogar an die lokale Kultur an und schaffen damit einen Mix aus Vertrautheit und Neuem. So findest du in einem McDonald’s in Indien keinen klassischen Burger, sondern den vegetarischen „McAloo Tikki“. Das Angebot mag lokal inspiriert sein, bleibt aber durch bekannte Markenwerte und Geschmacksmuster vertraut. Solche Optionen sind ein geschicktes Mittel, um Reisenden ein Gefühl von Sicherheit zu geben, während sie gleichzeitig neue Eindrücke sammeln können.

Der Wunsch nach Sorglosigkeit: Kann Erholung wirklich geplant werden?
Ein durchgeplanter Urlaub ist nicht für jeden geeignet. Erfahre im Artikel, was dahintersteckt und wo du ihn ausprobieren kannst.

"Comfort Food": Essen als Quelle von Komfort und Sicherheit

Essen ist nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eng mit Emotionen und Wohlbefinden verknüpft. Der Begriff „Comfort Food“ beschreibt Speisen, die wir mit Geborgenheit und Heimat assoziieren. Psychologisch gesehen spielt hier unser Belohnungssystem eine Rolle: Vertraute Geschmäcker aktivieren das Glückshormon Dopamin, das uns beruhigt und ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Besonders auf Reisen, wo viele Eindrücke und Unsicherheiten auf uns einwirken, suchen wir instinktiv nach einem Anker, der uns stabilisiert – und Essen ist dafür ideal geeignet. Gestern etwa war ich in einem guten Burgerrestaurant. Auffällig: Ich habe dort überwiegend weibliche Solo Traveler gesehen und keine Locals. Die Vermutung liegt nahe, dass bei ihnen nicht nur die Sehnsucht nach dem Vertrautem eine Rolle spielt, sondern auch die Lebensmittelsicherheit. Schließlich möchte man insbesondere als Alleinreisende:r kein Risiko eingehen und etwas zu sich nehmen, das im besten Fall vielleicht zu einer Magenverstimmung führen könnte.

Kulturelle Vertrautheit und ihre Rolle bei Essensentscheidungen

Eine Studie von Angel Gonzalez und seinem Team zeigt, dass kulturelle Vertrautheit und Persönlichkeitsmerkmale oft mehr Einfluss auf unsere Essensentscheidungen haben als Kosten oder Bequemlichkeit. Menschen wählen auf Reisen häufiger Gerichte, die sie aus ihrer Heimat kennen, weil diese ihnen Sicherheit und Komfort bieten. Interessanterweise fand die Studie auch kulturelle Unterschiede: So sind Reisende aus multikulturell geprägten Gesellschaften wie den USA oder Lateinamerika oft neugieriger auf fremde Küchen, da sie bereits an unterschiedliche Essgewohnheiten gewöhnt sind. Diese Erkenntnisse unterstreichen, wie stark unsere Essensvorlieben von unserer Sozialisation und kulturellen Prägung beeinflusst werden.

Authentisches Reisen oder Bereicherung durch Vertrautheit?

Ist es nun weniger authentisch, wenn wir auf Reisen nach Vertrautem suchen, anstatt uns vollständig auf die lokale Kultur einzulassen? Diese Frage polarisiert. Kritiker:innen argumentieren, dass das wahre Reiseerlebnis darin besteht, sich auf Neues einzulassen und die fremde Küche als Schlüssel zur Kultur zu begreifen. Doch gleichzeitig kann die bewusste Suche nach vertrauten Speisen die Reiseerfahrung bereichern. Sie bietet einen Moment des Innehaltens, eine Pause von der Flut an Eindrücken, die uns oft überfordern kann. Ein ausgewogenes Verhältnis aus Erkunden und Vertrautem schafft Raum, um neugierig zu bleiben, ohne sich selbst zu überfordern – und das macht eine Reise nicht weniger authentisch, sondern vielseitiger.

Die Balance zwischen Neugier und Komfort

Reisen ist eine Einladung, Neues zu entdecken, und das gilt besonders für die kulinarische Welt. Doch genauso wichtig ist es, sich dabei wohlzufühlen und nicht unter Druck zu geraten, ständig etwas Unbekanntes probieren zu müssen. Die Suche nach Vertrautem ist vollkommen in Ordnung – solange sie nicht die Offenheit für Neues blockiert.

Ein entspannter Ansatz könnte darin liegen, lokale Zutaten mit vertrauten Rezepten zu kombinieren oder neue Gerichte in kleinen Portionen auszuprobieren. Auch das Teilen von Speisen mit Reisepartner:innen kann helfen, Hemmschwellen zu überwinden. Am Ende ist es die Balance aus Komfort und Neugier, die eine Reise bereichert – und die es uns ermöglicht, authentische Erfahrungen zu machen, ohne auf das Gefühl von Zuhause verzichten zu müssen. Denn Reisen soll schließlich Freude machen und nicht in Stress ausarten.

Das könnte dich auch interessieren:

“Hier kann man’s aushalten” – warum wir nach dem Vertrauten auf Reisen suchen
Entdecke, warum wir auf Reisen nach Vertrautheit suchen und wie uns wiederkehrende Orte ein Gefühl von Heimat geben.