Es ist dieser fast schon selbstironische Satz, den wir Deutsche immer wieder gebrauchen, um auszudrücken, wie zufrieden wir mit der Wahl des Reiseziels sind. „Hier kann man’s aushalten“ oder schlimmer: „Ich fühl mich hier wie zu Hause.“ Während manche tatsächlich ein Stück „Zuhause“ auf Reisen suchen und man sich fragt, weshalb sie überhaupt die Wohnung verlassen haben, hat die Suche nach dem Vertrauten auf Reisen auch einige praktische Gründe. Auch ich suche nach dem Vertrauten auf Reisen, nach dem Anker in einem Leben ohne nennenswerte Fixpunkte. Ein Überblick.

Es klingt dramatischer, als es ist, und natürlich gibt es auch bei mir als digitalen Nomaden Fixpunkte im Leben. Familie, Freund:innen, Bekannte, wohlbekannte Orte wie Restaurants, Bars oder einfach nur ein Felsvorsprung mit Ausblick auf das Meer. Orte der Sehnsucht – wo wir schon beim Thema sind. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dieselben Reiseziele zu wählen, obwohl die Welt doch so viel mehr zu bieten hat.

Aktuell bin ich in Budapest. Unzählige Male war ich bereits hier, meistens wegen des Sziget-Festivals, zuletzt auch wegen einer Zahnbehandlung. Doch es ist die Stadt selbst, die eine Intimität, eine Vertrautheit ausstrahlt, die ich nicht überall erlebe. Denn Festivals und Zahnkliniken gibt es auch an anderen Orten. Die Magie eines Ortes lässt sich vermutlich nur schwer in Worte fassen. In erster Linie ist es schließlich ein Gefühl.

Doch hier soll es weniger darum gehen, weshalb ausgerechnet Budapest ein solch magischer Ort für mich ist, sondern warum wir uns überhaupt nach dieser Vertrautheit auf einer Reise sehnen. Mit diesem Phänomen haben sich sogar bereits Gelehrte befasst, darunter für eine chinesische Tourismusstudie aus dem Jahr 2009.

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Vertrautheit und Komfort

Eine Erkenntnis dieser Studie ist die, dass vertraute Reiseziele ein Gefühl der Sicherheit und des Komforts bieten. So spielen frühere positive Erfahrungen eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, ein Reiseziel erneut zu besuchen. Außerdem reduziert die Ortskunde gefühlte Unsicherheiten und Risiken, wie man sie bei neuen und unbekannten Destinationen empfindet. So weit, so verständlich.

Doch wenn ich an Städte wie Lissabon, Budapest oder Tallinn denke, dann ist es weniger das Thema Sicherheit, das mich bei der Wahl des Reiseziels umtreibt, sondern ehrlicherweise der Komfort, oder nennen wir es Bequemlichkeit. Sich als digitaler Nomade mal nicht an einen neuen Ort gewöhnen zu müssen, zu wissen, was man in seinen Warenkorb im Supermarkt seines Vertrauens legt und für welches Restaurant man am Abend der Ankunft einen Tisch reserviert, gibt ein Gefühl von Heimat. Das Gefühl von Heimat im ständigen Unterwegssein.

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Emotionale Bindungen und positive Erinnerungen

Orte, an denen man bedeutungsvolle und positive Erfahrungen gemacht hat, können zudem als emotionale Anker fungieren. Diese emotionalen Bindungen führen oft dazu, dass wir diese Orte wieder besuchen möchten, um die positiven Gefühle erneut zu erleben​. Und das, obwohl wir insgeheim wissen, dass dies ein uneinlösbares Versprechen ist. Schließlich ist jeder Moment auf einer Reise einzigartig, auch wenn wir einen Ort erneut besuchen.

Wie oft habe ich mir schon gedacht: „Oh wie schön, dann werden wir einen Abend erleben wie damals“, um dann fast schon ernüchternd festzustellen, dass man zwar den Besuch von Orten wiederholen kann, nicht aber die Erfahrungen, die man an diesen Orten gemacht hat. Muss es ja aber auch nicht. Es zeigt viel mehr, dass wir ruhig an dieselben Destinationen fahren können, denn wir werden ohnehin neue Erfahrungen machen und neue Momente erleben.

Soziale Bindungen und Gemeinschaft

Ein Grund für die neuen Erfahrungen sind die Menschen, denen wir auf Reisen begegnen. Wiederholte Besuche an denselben Orten können auch durch soziale Bindungen motiviert sein, die wir mit Einheimischen oder anderen wiederkehrenden Besucher:innen aufgebaut haben. Manchmal möchte man schlicht dieselbe Person wieder treffen, die man auf Reisen kennengelernt hat und mit ihr neue Momente erleben.

Oder es sind wiederkehrende Ereignisse wie eben ein Musikfestival, um beim Sziget-Beispiel zu bleiben. Zwar ändert sich jedes Jahr das Line-up des Festivals, doch nach all den Jahren ist eine gewisse Bindung und Vertrautheit zu spüren, eine Magie, die von dem Ort und der Gemeinschaft ausgeht.

Neue Perspektiven und Entdeckungen

Dieser Punkt der Studie hat mich einerseits überrascht, da ich ihn zunächst als widersprüchlich erachte. Wie kann man neue Perspektiven und Entdeckungen erwarten, wenn man denselben Ort erneut besucht? Es hat ein wenig mit dem bereits genannten zu tun: Orte können wiederholt werden, aber nicht ihre Erlebnisse.

So ermöglichen uns wiederholende Besuche, tiefere Einblicke und neue Perspektiven zu gewinnen, die bei einem einzigen Besuch möglicherweise übersehen wurden. Nehmen wir das Beispiel Roadtrip oder Weltreise: Viele Orte in kurzer Zeit zu erleben sind sicher aufregend und es klingt so, als würde man sehr viel sehen. Am Ende kratzen wir aber nur an der Oberfläche; zu kurz die Zeit, um eine tiefere, emotionale Bindung aufzubauen. So besagt die Studie, dass nur längere oder häufigere Besuche dies ermöglichen.

Beispielsweise hat mir der erste längere Besuch im estnischen Tallinn einen schönen Überblick über die Stadt ermöglicht. Doch es musste ein zweiter längerer Aufenthalt sein, um tiefer in die Kultur von Estland einzutauchen und beispielsweise die Europäische Kulturhauptstadt Tartu zu besuchen. Und auch innerhalb Tallinns habe ich Ecken gesehen und Dinge erfahren, die ich beim ersten Mal übersehen hatte oder schlicht nicht bereit war, diese zu sehen.

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Fazit

Es ist ein faszinierendes Phänomen, wie sehr uns vertraute Orte auf Reisen anziehen können. Diese Sehnsucht nach dem Bekannten, nach dem Gefühl von Heimat und Sicherheit, ist tief in uns verwurzelt. Während ich als digitaler Nomade oft das Neue und Unbekannte suche, finde ich gleichzeitig Ankerpunkte und Komfort in wiederkehrenden Erlebnissen. Jeder Besuch eines vertrauten Ortes bringt nicht nur Erinnerungen zurück, sondern schafft auch neue, einzigartige Momente.

Doch die Bindung zu einem Ort ist nicht nur eine Frage des Komforts, sondern auch der emotionalen Verankerung. Städte und Regionen, die uns vertraut sind, bieten eine unvergleichliche Mischung aus Sicherheit und neuen Entdeckungen. Jeder erneute Besuch ist wie eine vertraute Umarmung und gleichzeitig eine Einladung, noch tiefer in die Kultur und das Leben vor Ort einzutauchen.

Kurz: Wiederholungsreisen sind keineswegs eine Flucht aus Angst vor dem Unbekannten, sondern eine magische Reise zu einem tieferen Verständnis und einer intensiveren Verbindung mit den Orten, die uns besonders am Herzen liegen.

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Die Studie „Effects of Travel Motivation, Past Experience, Perceived Constraint, and Attitude on Revisit Intention“ wurde von Shu-Hui Huang und Cathy Hsu durchgeführt und im Journal of Travel Research veröffentlicht. Die Autoren untersuchten, wie verschiedene Faktoren wie Reiseziele, frühere Erfahrungen und Einstellungen die Absicht beeinflussen, ein Reiseziel erneut zu besuchen.